Redebeitrag zum Kommunalen Schutzschirm/Kreistagssitzung am 11. Mai

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,

sehr geehrten Damen und Herren!

 

 

Bei genauer Betrachtung stellen wir fest, dass es sich bei dem von der schwarz-gelben Koalition dem staunenden Publikum präsentierten Schutzschirm um eine Mogelpackung handelt.

 

Wenn etwas Positives an dem Schutzschirm-„Angebot“ zu erkennen ist, dann reduziert sich dies auf die schlichte Feststellung, dass das Land Hessen wieder lebens- und handlungsfähige Städte, Gemeinden und Landkreise braucht. Die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit brauchen wir dringend, um im Interesse der Bürgerinnen und Bürger vor Ort die kommunale Infrastruktur erhalten und ausbauen zu können.

 

Der sogenannte Schutzschirm, den die Landesregierung jetzt aufspannen will, wird nichts Grundlegendes an der Finanznot der hessischen Städte, Gemeinden und Landkreise ändern.

Städte, Gemeinden und Landkreise, die wie der Werra-Meißner-Kreis pleite sind, bleiben trotz Schutzschirm auch in Zukunft pleite. Darüber hinaus enthält der Gesetzentwurf der Landesregierung für ein „Hessisches kommunales Schutzschirmgesetz“ Sanktionen, die faktisch das Ende der kommunalen Selbstverwaltung bedeuten.

 

Um es vorwegzunehmen: DIE LINKE lehnt diese Art Schutzschirm ab. Wir halten es stattdessen für absolut notwendig, die Finanzausstattung der Städte, Gemeinden und Landkreise durch höhere staatliche Einnahmen deutlich zu verbessern.

 

Die Rahmenvereinbarung über einen „Kommunalen Schutzschirm in Hessen“, die am 21. Januar 2012 zwischen den Kommunalen Spitzenverbänden – dies sind der Hessische Landkreistag, der Hessische Städte- und Gemeindebund und der Hessische Städtetag – und der Landesregierung

geschlossen wurde, ist aufgrund der Tatsache, dass den hessischen Kommunen das Wasser bis zum Hals steht und sie keine Alternative sehen, zustande gekommen.

 

Für die Kommunen wird es fürchterlich, sich unter den Schutzschirm und letztlich in eine vorher noch nie dagewesene Abhängigkeit gegenüber dem Land Hessen zu begeben, auch wenn es sich angeblich um eine freiwillige vertragliche Regelung handeln soll. So war dies jedenfalls von kommunalen Spitzenvertretern, die an der Verhandlungsrunde mit der Landesregierung teilgenommen hatten, zu hören.

 

In der FAZ vom 18. Januar 2012 war zu lesen, dass selbst der FDP-Bürgermeister der Stadt Steinbach (Taunus), Dr. Stefan Naas, den so genannten Schutzschirm kritisch sieht. Völlig zu Recht stellte er fest – ich zitiere - :

„Für den politischen Satz, die Schulden drastisch abzubauen, machen wir eine kommunale Welt kaputt.“

 

Dr. Naas kritisiert offen die von seiner Partei, der FDP, mitgetragene Schuldenbremsenpolitik, weil er als Bürgermeister sehr gut einschätzen kann, was diese für seine Einwohnerinnen und Einwohnern an katastrophalen Einschnitten bringt und letztendlich an Konsequenzen hat.

 

Der sogenannte Schutzschirm ist zudem eine Mogelpackung, weil die CDU-/FDP-Landesregierung den Kommunen Jahr für Jahr 344 Millionen Euro entzieht, welche eigentlich den Städten, Gemeinden und Landkreisen gehören. Ich erinnere daran, dass bereits im November 2010 vor dem Hessischen Landtag Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie Landräte gegen die Finanzpolitik der Landesregierung demonstrierten. Bei der Demonstration ging es um die Beschneidung des Kommunalen Finanzausgleichs um diese 344 Millionen Euro jährlich. Das sind 12 Prozent des gesamten Kommunalen Finanzausgleichs, die die Landesregierung den Kommunen seit 2011 vorenthält!

 

Wenn die CDU-geführte Landesregierung nun pro Jahr den Städten, Gemeinden und Landkreisen ein Almosen über den so genannten Rettungsschirm zurückgibt, so ist das letztlich keine Hilfe und keine besondere Leistung des Landes. Es ist vielmehr der untaugliche Versuch, davon ablenken zu wollen, dass man erst das Geld den Kommunen weggenommen hat und diese Untat mit deutlich weniger Geld wieder reparieren will.

Ein nordhessischer Kommunalpolitiker brachte dies auf den Punkt mit den drastischen Worten:

„Die nehmen uns eine halbe Sau und geben uns ein Pfund Gehacktes zurück“.

 

Nach Adam Riese macht das Land durch die Kürzung der Mittel im Kommunalen Finanzausgleich

um 344 Millionen Euro einen Gewinn zu Lasten der Kommunen in der Größenordnung von 204 Millionen Euro pro Jahr. Dieser Gewinn entsteht dadurch, weil das Land nur 140 Millionen Euro an Lasten der Kommunen übernimmt. Diese Rechnung zeigt, dass es sich bei dem Schuldenschirm lediglich um einen Taschenspielertrick handelt.

 

Der schwarz-gelbe Rettungsschirm ist aus der Sicht der LINKEN nicht geeignet, die Finanznot der Kommunen, in die die Städte, Gemeinden und Landkreise größtenteils ohne eigenes Zutun geraten sind, dauerhaft zu lösen.

 Die Kürzung der Finanzmittel um jährlich 344 Millionen Euro übersteigt in zehn Jahren bereits den durch den Rettungsschirm bereitgestellten Betrag. Darüber hinaus wird zur Finanzierung des Rettungsschirms zum Teil auf den Kommunalen Finanzausgleich zurückgegriffen, d.h. die Kommunen, die nicht an den „Segnungen“ des Rettungsschirms teilhaben, dürfen mitbezahlen.

 

Was aber noch problematischer ist:

Zwar werden alte Schulden übernommen, ein klares Konzept zur Vermeidung neuer Haushaltsfehlbeträge gibt es aber nicht. Wir dürfen daher gespannt sein auf die konkreten Vereinbarungen, die die betroffenen Kommunen mit dem Land zur Konsolidierung ihrer Haushalte schließen müssen.

 

Der Werra-Meißner-Kreis wird gar nicht in der Lage sein, aufgrund weiterer Sparmaßnahmen einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Das haben bereits die bisherigen Anstrengungen gezeigt, die alle fruchtlos geblieben sind. Der Schutzschirm des Landes wird daran nichts ändern, denn dieser ist eine mehr als löchrige Fehlkonstruktion. Selbst gravierende Einschnitte beim Personal, selbst das Streichen von Mitteln für soziale Einrichtungen, für kulturelle Initiativen, für unsere Vereine, das Schließen von schulischen, sportlichen und kulturellen Einrichtungen, all dies wird nicht ausreichen, um das Spardiktat der Landesregierung zu erfüllen.

 

Ohne eine deutlich verbesserte Finanzausstattung der hessischen Städte, Gemeinden und Landkreise wird es keine Verbesserung der Haushaltssituation geben. Ich erinnere daran, dass die 21 hessischen Landkreise in ihrer Not jetzt erstmals das Land wegen mangelnder finanzieller Unterstützung verklagt haben.

Vor dem Staatsgerichtshof haben stellvertretend die Landkreise Bergstraße, Werra-Meißner und Waldeck-Frankenberg Verfassungsklage gegen die CDU/FDP-Landesregierung erhoben. Die Landkreise sind bekanntlich seit Jahren dramatisch unterfinanziert – und daran wird der so genannte Schutzschirm auch nichts ändern.

 

Interessant hierbei ist, dass durch die neu geltende Schuldenbremse, die von CDU, SPD, GRÜNEN und FDP in einer Großen Koalition initiiert wurde, die Landesregierung zum Sparen zwingt. Die Sinnhaftigkeit dieses Sparens ist mitunter mehr als zweifelhaft, zumal sich das Land auf Kosten der Kommunen sanieren will, wie das der Verfassungsrechtler Prof. Joachim Wieland feststellte.

Damit werde der Kern der kommunalen Selbstverwaltung ausgehöhlt. „Diese Klage ist gut begründet“, versicherte der Bonner Jurist, der die Landkreise vor dem Staatsgerichtshof vertritt.

 

In diesem Zusammenhang dürfte auch die kürzlich ergangene Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz von besonderer Bedeutung sein. Durch diese Entscheidung wird höchstrichterlich festgestellt, dass der dortige kommunale Finanzausgleich verfassungswidrig ist. Dem Landesgesetzgeber wurde aufgegeben, die Landkreise und die kreisfreien Städte des Landes Rheinland-Pfalz durch eine Neuregelung des kommunalen Finanzausgleichs zu stärken.

 

Der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes Rheinland-Pfalz kommt eine wichtige Signalwirkung für die bei dem Hessischen Staatsgerichtshof eingereichten Verfassungsklagen der Landkreise zu, da zum einen die entsprechende Vorschrift in der Verfassung für Rheinland-Pfalz mit Artikel 137 Absatz 5 der Hessischen Verfassung praktisch wortgleich ist.

Zum anderen werden auch in Hessen bei der Bemessung der Finanzzuweisungen an die Kommunen die ausgesprochen expansiv anwachsenden Kosten im Sozialbereich nicht angemessen berücksichtigt, obwohl das Land nach dem Grundsatz des Verteilungsgerechtigkeit dazu verpflichtet wäre. Demzufolge besteht auch in Hessen dringender, verfassungsrechtlich gebotener Handlungsbedarf.

 

 

Wie Herr Prof. Dr. Achim Truger in der Stellungnahme des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung zu dem Entwurf des kommunalen Schutzschirmgesetzes ausführt, ist das Gesetz von einer echten Problemlösung noch weit entfernt.

 

In der Stellungnahme von Prof. Dr. Truger heißt es – ich zitiere auszugsweise - :

 

Diesbezüglich muss berücksichtigt werden, dass das Land Hessen seinen Kommunen mit durchaus zweifelhafter Begründung über den KFA (Kommunalen Finanzausgleich) gerade erst jährlich 344 Mio. Euro entzogen hat. Die vom Land im Rahmen des Schutzschirms ‚großzügig‘ gewährten Zahlungen von maximal 120 Mio. Euro machen also nur gut ein Drittel der vorherigen Kürzungen aus. Konzentriert man sich auf die betroffenen Gemeinden / Landkreise, so ist nach einer groben Überschlagsrechnung davon auszugehen, dass diese gut 50 % der Kürzungen und damit 170 Mio. Euro zu tragen hatten. Mit anderen Worten erschöpft sich die ‚Großzügigkeit‘ der Landesregierung darin, dass sie den betroffenen Kommunen / Landkreisen etwa 50 % der vorherigen Kürzungen unter harten Auflagen wieder in Aussicht stellt.

In dem Gesetzentwurf fehlt jede Auseinandersetzung mit der Frage, warum den betroffenen Kommunen schon seit längerer Zeit die Konsolidierung der Haushalte misslingt. Genau eine solche Auseinandersetzung ist jedoch eine notwendige Voraussetzung dafür, um einschätzen zu können, ob die im Rahmen des Schutzschirmgesetzes verlangte Konsolidierung innerhalb weniger Jahre wirklich eine realistische Perspektive darstellt.

Es mag bequem sein, die Verantwortung für die Defizite jeweils individuell bei den betroffenen Kommunen zu suchen. Dabei wird jedoch übersehen, in welch hohem Maße die Kommunen in den letzten mindestens 10 Jahren unter bundespolitischen Entscheidungen zu leiden hatten.

Dies betrifft zum Einen die Fehlfinanzierung eigentlich bundespolitisch zu finanzierender Sozialleistungen auf kommunaler Ebene. Zum Anderen betrifft es die per Saldo enormen Steuersenkungen in diesem Zeitraum. Allein letztere schlagen für die hessischen Kommunen mit Einnahmeausfällen von aktuell über 1 Mrd. Euro pro Jahr zu Buche.

Für eine nachhaltige Problemlösungsstrategie sind daher gezielte Steuererhöhungen unverzichtbar. Solche werden von der Landesregierung jedoch eben so wenig angesprochen wie die Tatsache, dass die Steuersenkungspolitik der schwarz-gelben Bundesregierung im Bund auch die finanziellen Grundlagen der hessischen Kommunen weiter beschädigt hat.“ (Zitat Ende)

 

Die Stellungnahme des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung spricht für sich und hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Sie bedarf keiner weiteren Kommentierung!

 

Würden die hessischen Städte, Gemeinden und Landkreise über den Status von „systemrelevanten“ Banken verfügen, dann müssten wir uns heute nicht mit dem so genannten kommunalen Schutzschirm auseinandersetzen.

 

Mit den Rettungsmaßnahmen für durch Spekulationsgeschäfte in Not geratene Banken hat sich der deutsche Staat bis über die Ohren verschuldet. Diese Schulden werden mit „Kürzungszwangsmaßnahmen“ auf die unterste Ebene, auf die Kommunen und damit auf die Bürgerinnen und Bürger vor Ort, verlagert. Die Banken sind insbesondere mit dem Geld der Lohnsteuerzahler gerettet worden, die Gewinne bleiben aber wie bisher in den Taschen der Aktionäre und Finanzmarktspekulanten.

 

Wir brauchen keinen Schutzschirm in Höhe von mittlerweile bis zu einer Billion Euro für „systemrelevante“ Banken, Hedgefonds und sonstige Anleger. Stattdessen brauchen wir im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger einen wirklich funktionsfähigen und nachhaltig wirksamen Schutzschirm für die hessischen Städte, Gemeinden und Landkreise.

 

Auch brauchen wir eine andere Schuldenbremse – nämlich eine Schuldenbremse, durch die die Superreichen und Besitzer großer Vermögen endlich wieder angemessen - wie beispielsweise unter Kohl - besteuert werden. Dazu gehört aber auch die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, die der Spekulation an den Finanzmärkten wirksam Einhalt gebietet.

 

Zusammenfassend ist festzustellen, dass der von der CDU/FDP propagierte Schutzschirm nicht zu einer nachhaltigen Lösung der desolaten Finanzlage des Werra-Meißner-Kreises beitragen wird.

Wenn die CDU/FDP behauptet, der kommunale Schutzschirm sei eine Chance für den Werra-Meißner-Kreis, aus den Schulden herauszukommen, dann ist dies reines Wunschdenken.

 

Die Linksfraktion teilt den in jeder Hinsicht unbegründeten Optimismus der CDU/FDP nicht, da bei näherer Prüfung alle Fakten gegen eine Teilnahme des Werra-Meißner-Kreises an der Mogelpackung „Schutzschirm“ sprechen.

 

Die Linksfraktion lehnt daher das Schutzschirm-Angebot und den Einstieg in das Prüfverfahren ab!

 

Waltraud Eisenträger-Tomcuk, DIE LINKE. im Kreistag Werra-Meißner, 11.05.2012

 

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